Mittwoch, 2. August 2023

NEWS - Schmutziges Blut-Geschäfte einer Schwyzer Firma / Tagesanzeiger 2017

 

Blutspenden ist eine edle Geste, der Slogan «Spende Blut, rette Leben» in der Schweiz höchst respektiert. Wer sich von Krankenschwestern des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) Blut entnehmen lässt, ahnt nicht, dass Firmen andernorts Menschen in Notsituationen ausbeuten – und selbst Drogensüchtige Blut spenden lassen, um Millionen zu verdienen. Die Westschweizer Journalisten Marie Maurisse und François Pilet stiessen bereits bei ersten Recherchen in der Schweiz auf solch schmutzige Praktiken und realisierten bei Filmaufnahmen in der US-Stadt Cleveland, dass die Dimensionen noch grösser waren, als sie vermutet hatten.


Vor allem eine Firma hatten Maurisse und Pilet im Visier: die im Steuerparadies in Lachen SZ domizilierte Octapharma. Sie wurde 1982 gegründet und zählt neben dem australischen Unternehmen CSL Behring, dem spanischen Konzern Grifols und der US-Firma Baxter zu den weltweit grössten Blutplasmaherstellern. Das Geschäft ist lukrativ: Octapharma-Besitzer Wolfgang Marguerre erwirtschaftet jährlich Hunderte Millionen Franken. 2015 erzielte das Unternehmen gemäss eigenen Angaben ein Betriebsergebnis von 1,5 Milliarden Euro und einen Bruttogewinn von 351 Millionen Euro. 2014 war der Bruttogewinn mit 443 Millionen Euro sogar noch höher gewesen.



«Einzige Chance auf Zusatzverdienst»


Die aus Blut hergestellten Arzneimittel, sogenannt stabile Blutprodukte, vertreibt das Unternehmen weltweit, auch hierzulande. Schweizer Patienten zahlen für eine Therapie mit dem Blutplasmakonzentrat Octagam zur Stärkung des Immunsystems mehrere Tausend Franken pro Monat. Mit ihrem Dokfilm «Das Geschäft mit dem Blut» decken Maurisse und Pilet die umstrittenen Methoden von Octapharma erstmals auf und lösten mit ihrer Recherche in den USA, der Schweiz und in Deutschland gleich mehrere Polizeieinsätze aus. Heute Abend wird der Film auf SRF 1 ausgestrahlt.


Pharmafirmen betreiben in den USA 530 Zentren zur Entnahme von Blutplasma, meist in Armenvierteln. Vor den Octapharma-Zentren in Cleveland stehen Menschen schon frühmorgens Schlange. Es sind Leute, die sich auf dem Weg zur Arbeit noch kurz Blut entnehmen lassen und sich wegen ihrer schlechten Löhne einen Zusatzverdienst sichern wollen. Da stehen aber auch Menschen an, die das Geld für ihre Drogensucht brauchen, und Arbeitslose, die mit staatlicher Sozialhilfe allein nicht überleben könnten.


Im Innern des Octapharma-Gebäudes werden die Spender an Maschinen angeschlossen. Anders als bei einer normalen Blutspende, bei der das gesamte Blut entnommen und in einen Beutel geleitet wird, fliesst das Blut bei einer Plasmaspende in ein geschlossenes Schlauchsystem und wird mit einer Substanz, die das Blut kurzfristig ungerinnbar macht, gemischt. So gelangt das Blut in das Apheresegerät und wird durch Zentrifugation in Blutplasma und -zellen aufgetrennt. Das gelbliche Plasma wird gesammelt, und die Blutzellen werden in die Körper ihrer Spender zurückgeleitet. Rund eine Stunde dauert eine Plasmaspende.



Spender setzen Gesundheit aufs Spiel


Zwar macht das Plasma 60 Prozent des Blutes aus, aber der menschliches Körper ersetzt es im Gegensatz zu den roten Blutkörperchen viel rascher. Gemäss SRK-Richtlinien könnte «grundsätzlich nach einer Pause von einer Woche wieder gespendet werden, da der Körper bei dieser Spendenart nur ganz geringe Mengen an Blutzellen verliert». In Cleveland spenden die Menschen aber zweimal pro Woche, und dies Woche für Woche. Sie sind auf die 60 Dollar, die Octapharma für eine doppelte Spende zahlt, angewiesen. «Der Blutverkauf ist ihre einzige Chance für einen legalen Zusatzverdienst», sagt François Pilet. Danach kämen nur noch der Drogenhandel und die – in Cleveland illegale – Prostitution. Die Spender setzten ihre Gesundheit aufs Spiel, warnt der Clevelander Spitalarzt David Margolius. Sie würden an chronischer Müdigkeit und Kopfschmerzen leiden – und hätten durch die vielen Einstiche Venenentzündungen oder gar entzündete Armnerven.


Octapharma dementiert das. Die Firma, die im Dokfilm nicht Stellung nimmt, schreibt dem TA in einer Stellungnahme: «Plasmaspenden ist wesentlich schonender, da nur der flüssige Anteil des Blutes, das Plasma, entnommen wird. Daher dürfen Spender deutlich häufiger zum Spenden kommen. Langjährige Erfahrungen und zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass diese Spenderhäufigkeiten mit keinerlei gesundheitlichen Risiken für die Spender verbunden sind.» Im Übrigen seien «die im Film erhobenen Vorwürfe, die sich im besonderen Masse gegen Octapharma richten, an vielen Stellen inhaltlich falsch».


Doch mit der in den USA gängigen finanziellen Entschädigung hat man hierzulande ein grundsätzliches Problem – auch weil die so hergestellten Arzneimittel in die Schweiz gelangen. Das SRK verzichtet auf Entschädigungen. Das liege «im ureigensten Interesse der Spender und Empfänger». Studien zeigten, dass die Unentgeltlichkeit ein wesentlicher Sicherheitsfaktor sei. Wer nichts an der Spende verdiene, habe auch kein Interesse, etwas zu verheimlichen. Zudem halte es das SRK «aus ethischer Sicht für nicht verantwortbar, Menschen in einer finanziellen Notlage mittels monetärer Entschädigung zur Blutspende zu motivieren».

Rudolf Schwabe, Direktor Blutspende SRK Schweiz, sagt: «Wir haben schon mehrfach klar gesagt, dass wir aus ethischen und moralischen Gründen jede Form von bezahlter Blutspende ablehnen. Eine solche Art von Blutbeschaffung diskreditiert das gesamte Blutspendewesen und gefährdet das Vertrauen zwischen Spender und Blutspendeorganisationen.»



Man kann antworten, was man will


Tatsächlich gestehen Plasmaspender in Cleveland, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Eine Maschine stelle die Fragen, da könne man antworten, was man wolle, sagt ein Mann vor der Kamera. Auch über das Sexualverhalten werden falsche Angaben gemacht und der Drogenkonsum verheimlicht, um an Geld zu kommen.

«Personen, die sich Drogen intravenös verabreichen oder gewisse Drogen einnehmen, müssten vom Blut- oder Plasmaspenden ausgeschlossen sein», sagt Danièle Bersier, Sprecherin des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic. Das im Film gezeigte Verhalten der Spender in den USA entspreche «klar nicht den dort oder in der Schweiz geltenden Vorschriften», hält Bersier fest. Jean-Daniel Tissot, Dekan der Biologischen und Medizinischen Fakultät an der Universität Lausanne, wird im Dokfilm noch deutlicher. Er sagt: «Das Blut der Armen wird den Reichen in die Arme gespritzt.»


Wegen des Vertriebs ihrer Arzneien in die Schweiz taucht Octapharma auch auf den Listen von Swissmedic auf, samt den Koordinaten der Plasmazentren in Cleveland. Auffallend ist: Die Frage, ob bei Blutspendern eine Bezahlung erfolge, wird von Octapharma stets mit «Nein» beantwortet. Da werde mit Wörtern gespielt, sagt François Pilet. Octapharma gehe davon aus, dass sie keine Bezahlung leiste, sondern Spendern lediglich eine Entschädigung anbiete. 



Der Markt sei «sehr sicher»


Trotz allem bleibt man bei Swissmedic, was Sicherheit und Qualität der Plasma-Arzneimittel anbelangt, gelassen. Sprecherin Bersier sagt, aus Plasma hergestellte Medikamente, die in der Schweiz auf dem Markt seien, seien «sehr sicher». Hersteller dürften nur Plasmazentren als Lieferanten verwenden, welche behördlich regelmässig überwacht und genehmigt werden, so Bersier. «Darüber hinaus muss die Herstellung über geeignete Prozessschritte verfügen, die allfällige Krankheitserreger, die trotz ausreichender Testung und sorgfältiger Auswahl von Blutspendern im Ausgangs­material vorhanden sein könnten, wirksam inaktiviert oder eliminiert», betont Bersier.

Octapharma bestätigt das und schreibt: «In den Produktionsprozessen aller von Octapharma hergestellten Produkte sind mehrere validierte Schritte integriert, die sicherstellen, dass Pathogene wie Viren, Bakterien oder Prionen nachweislich entfernt beziehungsweise abgetötet werden.»



10 Millionen für das Rote Kreuz


Das SRK befindet sich wegen Firmen wie Octapharma aber in einem Dilemma. Es liefert Octapharma und anderen Firmen Blutplasma von Schweizer Spendern, das es für die Herstellung von Blutpräparaten zur direkten Transfusion, sogenannter labile Blutprodukte, nicht braucht. Gemäss TA-Recherchen bekommt das SRK 130 Franken pro Liter Blutplasma. Ein Liter Blutplasma bleibt nach vier Spenden übrig. Pro Jahr kommen so 10 Millionen Franken zusammen. Mit dem Geld deckt das SRK eigene Kosten. Rudolf Schwabe sagt: «Als einzige Möglichkeit bliebe uns der Entscheid, kein Plasma mehr an die verarbei­tende Industrie zu liefern.» Er gibt aber zu bedenken: «An der Tatsache, dass viele Patienten auf diese stabilen Medikamente angewiesen sind, würde das nichts ändern. Wenn wir diese Lieferungen beenden würden, würde jener Teil, der auf ethisch fragwürdige Art in Form von bezahlten Spenden beschafft wird, nur noch mehr ausgeweitet.»




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